In dieser Folge beschäftigen Raja Reiselust und ich mich mit den Themen Weißabgleich und Farbtemperatur. Was hinter den Begriffen steckt, wozu der Weißabgleich dient und was du dabei beachten solltest, erfährst du in diesem Interview.
Übersicht
Weißabgleich
Raja: Hallo Michael!
Michael: Hallo Raja!
Raja: Ich hab dir wieder eine Frage mitgebracht. Mir ist im Schnellstartmenü meiner Kamera diese AWB Einstellung aufgefallen. Kannst du mir erklären, wofür die ist?
Michael: Na klar. AWB steht für „Automatic White Balance“ oder zu deutsch „Automatischer Weißabgleich“.
Raja: Weißabgleich? Was soll das bedeuten?
Michael: Hm, eine gute Frage, die gar nicht so einfach zu erklären ist. Erinnerst du dich an deinen Physikunterricht?
Raja: Mit Grausen, ja. Aber eigentlich würde ich den lieber verdrängen.
Michael: Nun, vielleicht erinnerst du dich, dass Licht aus Wellen besteht und sich weißes Licht aus verschiedenen Wellenlängen zusammensetzt.
Raja: Das Experiment mit dem Prisma und den Regenbogenfarben?
Michael: Genau. Jede dieser sogenannten Spektralfarben, in die sich weißes Licht zerlegen lässt, hat seinen eigenen, typischen Wellenlängenbereich. Rotes Licht am einen Ende des Spektrums hat besonders kurze Wellenlängen und blaues Licht am anderen Ende hat lange Wellenlängen. Je nach Lichtbedingung setzt sich das Licht unterschiedlich zusammen. Mal ist der rote Lichtanteil größer, mal der blaue. Genau aus dem Grund erscheint ein weißes Objekt bei unterschiedlichen Lichtbedingungen in einer unterschiedlichen Farbtemperatur.
Raja: Hm, aber ist weiß nicht trotzdem immer weiß?
Michael: Für dich, ja. Denn deine Augen haben eine ganz spezielle Fähigkeit. Sie können – egal welche Lichtverhältnisse gerade herrschen – immer erkennen, ob ein Objekt weiß ist. Egal, ob bei Tageslicht, Kerzenschein oder unter dem Licht einer Leuchtstoffröhre – du weißt immer, das ein Objekt weiß ist, wenn es das ist. Diese Fähigkeit nennt sich chromatische Adaption. Dein Auge besitzt sozusagen einen automatischen, biologischen Weißabgleich, indem es auf deine Erfahrungen und dein Wissen zurückgreift und das Gesehene damit abgleicht.
Raja: Ah, mir dämmert etwas. Meine Kamera hat diese Fähigkeit nicht, oder?
Michael: Nicht direkt, nein. Deine Kamera bildet einfach die tatsächliche Farbe des reflektierten Lichtes ab. Aber um den Weißabgleich zu simulieren, gibt es in Kameras den automatischen Weißabgleich. Deine Kamera versucht dabei ihr Mögliches, die Anpassung, die dein Auge ganz automatisch durchführt, ebenfalls für deine Aufnahme vorzunehmen.
Raja: Und schafft sie das?
Michael: Nicht so gut wie dein Auge. Zwar wird die Technik und die Intelligenz dahinter immer besser, aber das menschliche Auge erreichen auch moderne Kameras noch nicht.
Automatischer Weißabgleich
Raja: Wie funktioniert denn der automatische Weißabgleich meiner Kamera? Was hat mein Auge, was sie nicht hat?
Michael: Nun, dein Auge hat verschiedene Typen von lichtempfindlichen Zellen auf der Netzhaut. Der Sensor deiner Kamera hat das nicht. Die Kamera nimmt den Weißabgleich im Wesentlichen vor, indem sie den hellsten Bereich in deinem Bild sucht und diesen als weiß interpretiert. Die anderen Farben werden aufgrund dieser Annahme entsprechend angepasst. Das klappt in der Regel sogar ausgesprochen gut – zumindest solange du nicht unter schwierigen Lichtbedingungen fotografierst.
Raja: Was sind solche schwierige Lichtbedingungen?
Michael: Beispielsweise fällt es deiner Kamera bei Dämmerlicht, Nebel oder Schnee sehr schwer, im AWB Modus den Weißabgleich korrekt vorzunehmen. Auch das Vorhandensein verschiedener Lichtquellen, wenn du zum Beispiel in einem Zimmer mit künstlichem und durchs Fenster fallendem Tageslicht fotografierst, ist eine Herausforderung.
Raja: Hm, und was mache ich dann unter solchen Bedingungen? Kann ich der Kamera helfen?
Halbautomatischer Weißabgleich
Michael: Kannst du. Dafür gibt es nämlich neben dem automatischen Weißabgleich noch den halbautomatischen und den manuellen Weißabgleich.
Raja: Cool. Und wie funktionieren die?
Michael: Im halbautomatischen Modus gibst du der Kamera Hilfestellung, indem du ihr verrätst, welche Lichtbedingungen gerade herrschen. Im Falle deiner Canon Kamera kannst du zum Beispiel angeben, ob es gerade bewölkt ist, ob hellstes Tageslicht vorherrscht, ob du im Schatten fotografierst, bei Kunstlicht oder unter einer Leuchtstoffröhre. Im Grunde gibst du der Kamera damit grob die Farbtemperatur vor.
Raja: Farbtemperatur? Was ist das schon wieder? Haben Farben Temperaturen?
Farbtemperatur
Michael: Die Farbtemperatur ist ein Maß, das den Farbeindruck einer Lichtquelle als Zahl ausdrückt. Sie wird in Kelvin (K) angegeben und geht im Grunde genommen mit der Wellenlänge einher. Rotes Licht mit kurzer Wellenlänge liegt im Bereich von unter 2.000 K. Blaues Licht mit großer Wellenlänge liegt im Bereich über 8.000 K. Weiß liegt etwa in der Mitte bei ca. 5.500 K
Raja: Ah, ich hab gesehen, ich kann im halbautomatischen Modus auch die Farbtemperatur in Kelvin direkt eingeben. Dazu muss ich diese Zahlen aber im Kopf haben, richtig?
Michael: Richtig. Einfacher ist es allerdings, die groben Stufen, die ich gerade genannt habe, zu nutzen. Oder du benutzt einen kleinen Spickzettel mit den wichtigsten Werten, wie den folgenden:
Raja: Ok, verstehe. Ganz schön kompliziert!
Michael: Stimmt schon, aber es geht auch ganz einfach.
Raja: Oh, wie denn?
Michael: Indem du den manuellen Modus benutzt. Dazu musst du der Kamera nur zeigen, was denn Weiß in dem aktuellen Licht gerade bedeutet.
Manueller Weißabgleich
Raja: Und wie mach ich das? Soll ich ihr ein weißes Blatt Papier zeigen?
Michael: Genau das!
Raja: Hä?
Michael: Tatsächlich nimmst du einfach ein weißes Blatt Papier – oder noch besser eine 18% Graukarte und fotografierst diese formatfüllend im zuvor eingestellten manuellen Weißabgleich Modus. Dann sieht deine Kamera quasi, wie ein weißes Objekt unter aktuellen Lichtbedingungen aussieht und kann dieses Wissen auf die folgenden Bilder anwenden. Dadurch ist dein Weißabgleich ziemlich exakt, ohne dass du auch nur den Hauch einer Ahnung von irgendwelchen Kelvin Werten haben musst.
Raja: Oh, das klingt eigentlich ganz einfach. Aber da gibt’s doch bestimmt auch wieder einen Haken, nicht wahr?
Michael: Nun, einen bzw. vielleicht sogar zwei – aber nur kleine. Erstens brauchst du solch eine Graukarte*, die du mitführen musst und zweitens solltest du wissen, dass das bei weit entfernten Motiven natürlich nur eingeschränkt funktioniert. Schließlich kannst du nicht erst auf den Gipfel, den du vom Tal aus fotografieren willst, hinauflaufen, um deine Graukarte dort zu platzieren.
Raja: Stimmt. Und was mach ich in dem Fall?
Michael: In dem Fall musst du entweder mit unterschiedlichen Modi experimentieren oder besser doch auf den halbautomatischen Modus wechseln. Am einfachsten aber hast du es, wenn du im RAW Modus fotografierst.
Raja: Wieso das?
Nachträglicher Weißabgleich per Bildbearbeitung
Michael: Nun, denn dann kannst du den Weißabgleich quasi komplett ignorieren und ihn einfach später in der Nachbearbeitung deiner Bilder korrekt setzen.
Raja: Das geht?
Michael: Das geht! Im RAW Modus besitzt du alle Informationen, wie sie dein Sensor aufzeichnet. Den Weißabgleich kannst du dann im Gegensatz zu JPEG Aufnahmen quasi verlustfrei nachträglich auf diesen Rohdaten durchführen.
Raja: Klasse, dann mache ich das doch. Heißt das aber im Umkehrschluss, dass ich auf JPEG Bildern keinen Weißabgleich nachträglich vornehmen kann?
Michael: Jein. Du kannst das natürlich schon, aber nur mit erheblichen Qualitätseinbußen. Denn beim JPEG Bild hat deine Kamera ja schon einen Weißabgleich und verschiedene andere Dinge mit in die Bilddaten hineingerechnet. Bis zu einem gewissen Grad kannst du natürlich diese Daten weiter bearbeiten. Du wirst aber keinesfalls auch nur ansatzweise so gute Ergebnisse erhalten, wie unter Verwendung des RAW Formates.
Raja: Verstehe. Wo genau in Lightroom kann ich den Weißabgleich nachträglich vornehmen?
Michael: Du kannst das entweder in der Ad-hoc-Entwicklung im Modul Bibliothek vornehmen oder in den Grundeinstellungen im Modul Entwicklung. Da kannst du dann entweder das entsprechende Preset auswählen oder direkt die genaue Farbtemperatur einstellen.
Raja: Klingt einfach.
Michael: Ist es auch.
Raja: Darf ich dich noch etwas Doofes fragen?
Michael: Immer raus damit. Du weißt doch, es gibt keine dummen Fragen, nur dumme Antworten!
Farbstich im Bild
Raja: Na gut, was passiert, wenn ich den Weißableich nicht korrekt vornehme oder meine Kamera im automatischen Modus falsch liegt? Was genau hat das für Auswirkungen auf meine Bilder?
Michael: Nun, in der Regel wirst du dann in deinem Bild einen Farbstich feststellen. Die Bilder können unnatürlich blau oder orange wirken. Die Farben fühlen sich vielleicht falsch, flau oder unecht an. Das ist ganz unterschiedlich.
Schau mal zum Beispiel folgende Szene, die ich in unterschiedlichen Modi für den Weißabgleich aufgenommen habe:
Michael: Es ist die gleiche Kirche bei gleichem Licht. Aber die Ergebnisse wirken doch gänzlich unterschiedlich, nicht wahr?
Raja: Stimmt. Bei welcher Aufnahme ist der Weißabgleich denn korrekt?
Michael: In diesem Fall beim dritten Foto, welches im Tageslicht-Modus bei ca. 5.500 Kelvin aufgenommen wurde.
Raja: Das gefällt mir auch am besten.
Michael: So soll es sein. Aber weißt du was? Manchmal ist es auch ganz günstig, den Weißabgleich bewusst falsch zu wählen.
Raja: Wieso das denn?
Michael: Nun, stell dir einen tollen Strand vor. Leider ist das Wetter bewölkt und diesig. Wie würde das auf dem Foto wohl wirken?
Raja: Nun ja, langweilig und nicht besonders schön, oder?
Michael: Richtig. Wenn du nun aber mit der Farbtemperatur etwas hinunter gehst – entweder durch Auswahl des entsprechenden Modus oder später in der Bildbearbeitung deines RAW Bildes, dann kannst du die Szene zu deinen Gunsten verändern und wärmer und schöner wirken lassen.
Raja: Ah verstehe. Aber ein wenig geschummelt ist das dann schon, oder?
Michael: Ein wenig, ja. Aber es ist ein in meinen Augen legitimes Schummeln. Bilder die eine Szene immer nur 1:1 wie die Realität wiedergeben faszinieren oft weit weniger, als Bilder, die bestimmte Aspekte ein wenig mehr herausstellen oder überspitzen. Ein bewusst gesetzter Farbstich kann dabei durchaus ein kreatives Mittel sein, deiner Aufnahme eine besondere Note zu verleihen.
*Michael zwinkert Raja zu*
Raja: Okay, werde ich mir merken. Wahrscheinlich muss ich damit einfach ein wenig experimentieren, oder?
Michael: Jup, das würde ich dir auch empfehlen. Und am besten fotografierst du einfach immer im JPEG und im RAW Modus zugleich. Wenn du oder deine Kamera mal mit dem Weißabgleich daneben gelegen habt, dann greifst du einfach auf das RAW Bild zurück und korrigierst das später.
Raja: Super Idee, das mache ich.
Einflussgrößen der Farbtemperatur
Raja: Nochmal zurück zur Farbtemperatur und der Wirkung von Licht. Gibt es denn noch mehr, was die Farbtemperatur beeinflussen kann? Oder ist die Art der Lichtquelle die einzige Variable?
Michael: Da gibt es in der Tat noch mehr. Beim Tageslicht entscheidet zum Beispiel die Tageszeit. Denn je nach Stand der Sonne wird das Licht unterschiedlich an der Atmosphäre gebrochen. Mal ist der Rotanteil höher (Sonnenauf- oder Sonnenuntergang), mal der Blauanteil (bewölktes Wetter). Bei letzterem kommen nämlich auch Reflexionen zum Tragen.
Gestreutes Licht hat eine andere Wirkung als direktes Sonnenlicht. Das merkst du zum Beispiel, wenn du in einem Zelt fotografierst. Ist das Zelt grün, wirken natürlich auch alle Objekte im Zelt grünlich, wenn die Sonne hindurchstrahlt. Gleiches gilt für andere farbige Flächen, an denen Licht reflektiert wird. Und bei halbtransparenten Materialien spielen natürlich die Materialeigenschaften eine entsprechende Rolle. Denn sie beeinflussen, ob und wie das Licht an ihnen gebrochen wird.
Raja: Oha, mir schwirrt der Kopf.
Michael: Keine Angst, im Normalfall musst du dir darüber nicht viele Gedanken machen.
Mein Tipp: Bei schnell veränderlichen Lichtbedingungen setze auf die Vollautomatik in Kombination mit dem RAW Format. Bei konstanten Bedingungen wähle den korrekten halbautomatischen Modus. Und wenn dir eine Aufnahme besonders wichtig ist und du sehr exakt vorgehen möchtest, dann setzt du auf den Manuellen Weißabgleich mit Graukarte oder einem weißen Blatt Papier.
Raja: Ok, das kann sogar ich mir merken.
Michael: Prima. Noch zwei Tipps gefällig?
*Raja legt den Kopf schief und schaut argwöhnisch*
Raja: Na gut, welche?
Michael: Im Winter, wenn viel Schnee liegt und bei nebligen Verhältnissen nutze unbedingt das RAW Format. Hier versagen die Automatiken der Kamera am schnellsten. Und damit gleich zu Tipp Nummer 2: Wenn du deine Bilder bearbeitest, dann stelle sicher, dass dein Monitor kalibriert ist. Sonst baust du am Ende Farbstiche in deine Bilder ein, ohne, dass du es selbst mitbekommst.
Raja: Ich kann meinen Monitor kalibrieren?
Michael: Kannst du. Schau dir dazu mal diesen Artikel an.
Raja: Okidoki. Puh, das war aber ne Menge Stoff für heute. Das muss ich erstmal setzen lassen, bevor ich mich mit dem Kalibrieren beschäftige. Ich glaube, ich probiere erst einmal ein wenig mit den Einstellungen für den Weißabgleich herum.
Michael: Mach das. Als Tipp, um ein wenig Gefühl für Farbwirkungen und dem Weißabgleich zu bekommen, geb ich dir direkt auch noch eine Aufgabe mit:
Raja: Schon wieder Hausaufgaben?
*Raja seufzt*
Michael: Keine Sorge, ist ganz einfach. Stelle deine Kamera auf Tageslicht ein und mach bei schönem Wetter eine Aufnahme draußen und eine drinnen bei künstlichem Licht. Wiederhole das mit der Einstellung Kunstlicht. Du wirst sehen, dass bei der Tageslicht-Einstellung das Bild im Kunstlicht einen gelben Farbstich haben wird, während das Außenbild normal wirkt. Dagegen wird in der Kunstlicht-Einstellung die Außenaufnahme blaustichig wirken, während die Innenaufnahme eine normale Wirkung haben wird. Genau das zeigt wunderbar den Einfluss von Licht in Kombination mit dem Weißabgleich.
Raja: Vielen Dank, das probiere ich aus!
Zusammenfassung
Raja notiert …
- Lichtquellen haben unterschiedliche Lichtwirkungen und beeinflussen die Farbtemperatur der Umgebung.
- Mittels Weißabgleich werden die „falschen Farben“ unterschiedlicher Beleuchtungsarten neutralisiert.
- Rote Lichtanteile wirken warm, blaue Lichtanteile kalt.
- Neutralweiß hat eine Farbtemperatur von rund 5.500 Kelvin.
- Der Weißabgleich an meiner Kamera lässt sich auf 3 Arten durchführen:
- Automatisch – komplett durch Berechnungen der Kamera.
- Halbautomatisch – durch Vorgabe der aktuellen Lichtsituation.
- Manuell – mittels Fotografieren einer Graukarte.
- Im RAW Format lässt sich der Weißabgleich nachträglich per Bildbearbeitung vornehmen.
- Im JPEG Format ist bei der Aufnahme auf den korrekten Weißabgleich zu achten.
- Farbstiche (blau / orange) entstehen durch fehlerhaften Weißabgleich.
- Bei der Bildbearbeitung sollte der Monitor korrekt kalibriert sein.
Alle bisherigen Interviews aus der Artikel-Serie findest du hier
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