Fotografieren zur Blauen Stunde ist nicht nur spannend, sondern liefert zudem herrliche Aufnahmen in ganz besonderer Stimmung. Was die Blaue Stunde ist und was du dabei beachten solltest, erfährst du im Interview mit Raja Reiselust.
Übersicht
Die Blaue Stunde
Michael: Hallo Raja!
Raja: Hallo Michael!
Michael: Ich hab gehört, du fährst bald nach London?
Raja: Stimmt. Und ich freue mich schon riesig drauf. Genau deswegen bin ich übrigens hier. Du musst mir helfen!
Michael: Gern, was kann ich für dich tun? Brauchst du Sightseeing Tipps?
Raja: Eher nicht. Aber ein paar Tipps zum Fotografieren wären toll!
Michael: Hast du etwas Spezielles im Sinn?
Raja: Hab ich. Ich hab letztens so tolle Nachtbilder aus Berlin gesehen. Wobei, so richtig nachts war es auch nicht. Der Himmel war tiefblau, die Lichter der Stadt bunt und richtig schön. Solche Aufnahmen würde ich auch gern machen können. London wäre doch sicher perfekt dafür?!
Michael: Ich glaube, ich ahne, was du meinst. Du hast bestimmt Bilder gesehen, die in der Blauen Stunde aufgenommen wurden?
Raja: Blaue Stunde? Nee, besoffen war der Fotograf sicher nicht. Die waren wirklich gut, die Bilder!
Michael: *lacht*
Michael: Keine Sorge, das hat nichts mit Alkohol zu tun. Als Blaue Stunde bezeichnet man eine Zeit kurz nach Sonnenuntergang, in der sich der Himmel tiefblau färbt und die sich besonders gut für Städte- und Landschaftsaufnahmen mit einer ganz besonderen Stimmung eignen.
Warum ist der Himmel so blau?
Raja: Ah verstehe. Blaue Stunde heißt das nur, weil der Himmel so blau erscheint?
Michael: Ganz genau.
Raja: Und warum wird der Himmel da so blau?
Michael: Das hat im Grunde physikalische Ursachen. Vereinfacht ausgedrückt hat das Licht durch den schrägen Einfall – die Sonne steht ja nun sehr tief am Himmel – einen längeren Weg durch die Atmosphäre und somit auch durch die Ozonschicht. Die Ozonschicht jedoch absorbiert bestimmte Teile des Sonnenlichts im Spektralbereich des sichtbaren Lichtes – und zwar vor allem im gelben, orangen und roten Spektrum. Übrig bleibt das blaue Licht. Darum erscheint der Himmel zur Blauen Stunde so besonders blau.
Raja: Uh, das habe sogar ich verstanden – und ich war in Physik echt eine Niete!
Vorteile der Blauen Stunde
Michael: Cool. Aber weißt du was? Eigentlich ist das warum gar nicht wichtig. Entscheidend ist, dass es passiert und dass dir das als Fotografierender bewusst ist. Denn du hast vollkommen recht – zu dieser Stunde ist es möglich, ganz besondere Aufnahmen zu machen. Die Stimmung ist eine ganz besondere und es gibt noch weitere Vorteile.
Raja: Welche denn?
Michael: Zur Blauen Stunde sind die Kontraste abgeschwächt. Tagsüber hast du bei grellem Licht oft harte Kontraste, die es schwierig machen, Bilder korrekt zu belichten. Wenn du nicht aufpasst, fressen dir entweder die Lichter aus (überbelichtet) oder dir saufen die Tiefen ab (unterbelichtet). Zur Blauen Stunde wird das einfacher. Die dunklen Bereiche erscheinen nicht mehr so dunkel und helle Bereiche weniger hell. Du erkennst das unter anderem auch am Histogramm, das entsprechend zusammenschrumpft. Die Kontraste werden abgemildert und du bekommst sowohl in den dunklen, als auch in den hellen Bereichen sehr viele schöne Details.
Raja: Klasse, dann brauche ich also auf die korrekte Belichtung weniger zu achten?
Michael: Ja und nein. Es wird natürlich einfacher, aber drauf achten solltest du natürlich immer noch.
Raja: Muss ich beim Weißabgleich etwas beachten?
Michael: Meine Empfehlung wäre, die Einstellung „Tageslicht“, das Sonnen-Symbol zu nutzen und im RAW Format zu fotografieren. Dann kannst du in der Nachbearbeitung den Weißabgelich so einstellen, wie du es als am schönsten empfindest. Ein richtig oder falsch gibt es hier kaum. Die Farbtemperatur in der Blauen Stunde ändert sich rasant. In Kelvin ausgedrückt bewegen wir uns ungefähr zwischen 9.000 und 12.000 Kelvin.
Raja: Öhm, muss ich das wissen?
Michael: Nur, wenn du in der Fotobearbeitung den Weißabgleich anhand von Kelvin-Werten vornehmen möchtest. Ich persönlich mache das aber gern oft einfach nach Gefühl.
Raja: Gefühl ist gut!
Michael: Genau. Das sehe ich auch so. Ein Patentrezept zur Bearbeitung gibt es eh nicht, zumal die Bilder meist sehr farbintensiv und bunt werden.
Zeitpunkt und Dauer der Blauen Stunde
Raja: Ok, aber nochmal zurück zur Aufnahme. Wann genau ist die Blaue Stunde? Immer direkt nach Sonnenuntergang?
Michael: Nicht ganz. Das liest man zwar oft so, aber tatsächlich beginnt die Blaue Stunde erst kurze Zeit später. Um die genaue Zeit zu ermitteln, gibt es einiges an guten Apps und Webseiten. Ich nutze in der Regel den Rechner auf dieser Seite. Da gibst du einfach deinen Standort ein und schaust in den Tabellen nach, wann am Tag deiner Wahl die Blaue Stunde beginnt und wann sie endet. Etwa in der Mitte der Zeit sind die Farben am intensivsten. Denn merke:
Wenn also all die Sonnenuntergangs-Fotografen bereits kurz nach Verschwinden der Sonne am Horizont zusammenpacken, geht’s mit dem Farbenspiel oft erst richtig los!
Raja: Dann ist die Blaue Stunde also nicht immer gleich lang?
Michael: Nein, ist sie nicht. Die Länge der Blauen Stunde hängt von der geografischen Lage und der Jahreszeit ab. Außerdem musst du wissen, dass sich in dieser Zeit die Lichtverhätnisse sehr schnell ändern und dass die Stunde, keinesfalls wirklich eine Stunde ist. Oftmals dauert diese Phase gerade mal 15-30 Minuten.
Raja: Oh, das klingt aber nach Stress und Hektik!
Michael: Nicht unbedingt. Du solltest dich nur einfach gut vorbereiten. Überlege dir schon am Tage, was und von wo du fotografieren möchtest. Sei rechtzeitig vor Ort und habe deine Ausrüstung entsprechend vorbereitet.
Kameraeinstellungen zur Blauen Stunde
Raja: Was muss ich denn dabei beachten?
Michael: Nun, vor allem solltest du vom Stativ fotografieren, um längere Belichtungszeiten nutzen zu können.
Raja: Das bedeutet wie immer: Bildstabilisator aus, richtig?
Michael: Richtig. Außerdem solltest du im M-Modus fotografieren und der Kamera so wenig Einstellungen wie möglich selbst überlassen. Den ISO Wert stellst du möglichst niedrig ein, die ISO Automatik gehört deaktiviert.
Raja: Ok und wie stelle ich scharf?
Michael: Ich empfehle dir, den Live View zu verwenden und manuell zu fokussieren. Du kannst alternativ auch den Autofokus nutzen, um einen ersten guten Anhaltspunkt zu bekommen. Hat die Kamera scharf gestellt, deaktivierst du den AF und überprüfst das Bild im LiveView nochmal in der Vergrößerung. Dann kannst du auch entsprechend nachjustieren. Da du in der Regel ein in allen Bereichen möglichst scharfes Bild erhalten möchtest, empfehle ich Blende f/11. Aber auch Blende f/8 gibt bereits gute Ergebnisse. Maximal würde ich bis Blende f/16 gehen.
Raja: Hat die Blende noch einen Einfluss auf mein Bild außer, dass sie die Tiefenschärfe bestimmt?
Michael: Hat sie in der Tat. Je größer die Blendenzahl, sprich je geschlossener die Blende, desto eher bekommst du strahlenförmige Sterne um die Lichtquellen im Bild. Sprich, wenn du beispielsweise runde Straßenlaternen aufnimmst, erscheinen diese als Lichtsterne in deinen Bildern, was ein durchaus sehr schöner Effekt sein kann.
Raja: Cool, das gefällt mir. Und welche Aufnahmedauer sollte ich nutzen?
Michael: Das kommt wie immer drauf an. Ich würde einfach mal mit 1-2 Sekunden starten und mich herantasten. Du wirst ja sofort sehen, ob dein Bild dann zu dunkel oder zu hell ausfällt. Dann justierst du einfach entsprechend nach. Bist du am Wasser – durch London fließt ja die Themse, kannst du auch mit längeren Belichtungszeiten experimentieren. Letzteres würde dir auch helfen, durchs Bild laufende Personen quasi verschwinden zu lassen.
Raja: Verstehe. Na dann probiere ich mich da einfach mal durch. Aber am besten mache ich mir mal einen Spickzettel. Hilfst du mir grad?
Michael: Klar. Ich würde folgendes notieren:
- Motiv & Standort im Vorfeld bestimmen.
- Zeit der Blauen Stunde ermitteln und rechtzeitig einfinden.
- Kameraeinstellungen:
- M-Modus.
- AUTO ISO aus, niedrigen ISO Wert einstellen (100).
- Blende ca. f/11.
- Stativ verwenden.
- Bildstabilisator aus.
- Spiegelvorauslösung ein, Fern- oder Selbstauslöser nutzen.
- Im Live View manuell fokussieren.
- Langzeitbelichtung nutzen.
- Weitwinkelobjektiv bietet sich meist an.
- Nach der Aufnahme Histogramm überprüfen und nachjustieren.
Raja: Sehr schön. Ist notiert! Hast du noch einen weiteren Tipp?
Michael: Hab ich in der Tat. Unterbelichte um eine Drittelstufe. Dann bekommst du meiner Erfahrung nach die besten Ergebnisse.
Raja: Ok, werde ich ausprobieren. Dann drücke mir mal die Daumen, dass ich das hinbekomme!
Michael: Mach ich. Aber ich mache mir da aber wenig Sorgen. Du kannst das!
Michael: *zwinkert*
Zusammenfassung
Raja notiert …
- Zur Blauen Stunde sind besonders stimmungsvolle Aufnahmen möglich.
- Die Blaue Stunde beginnt kurz nach Sonnenuntergang.
- Sie ist unterschiedlich lang, in der Regel kürzer als eine Dreiviertelstunde und hängt von der geografischen Position ab.
- Gute Vorbereitung und Recherche zu Standort und Motiv sind von Vorteil.
- Kontraste sind zur Blauen Stunde abgemildert.
- Langzeitaufnahmen eignen sich besonders.
- Am besten im RAW Format und im manuellen Modus fotografieren und Stativ nutzen.
- Geschlossene Blende erzeugt tolle Lichtsterne.
Alle bisherigen Interviews aus der Artikel-Serie findest du hier
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